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Eine unglaubliche Geschichte ...

Wir fahren um 9.45 Uhr von der Schule los. Verabschiedet werden wir von vielen Lehrern und Lehrerinnen und Schülern und Schülerinnen, die selbstgemalte Bilder und Schilder hochhalten. Das tut gut und macht Mut. Unser Schulbus ist mit vielen Kisten beladen, die Lebensmittel, Hygieneartikel, Windeln, Schlafsäcke und andere Dinge enthalten, die in den letzten 2 Tagen vom Kollegium gespendet wurden und die viele fleißige Hände sortiert, verpackt und eingeladen haben. Auch ist sehr viel Geld gespendet worden, so dass die Kosten für Benzin, Übernachtung und Verpflegung gesichert sind.

 

 

 


Mit dabei ist auch Mike Agboola der seit 15 Jahren in Kiew lebte, dort als Arzt arbeitete und nun in Essen eine Bleibe hat. Seine Flucht aus der Ukraine erfolgte ungeplant, der NRZ Reporter Jan Jessen bat ihn ganz kurz vor Ausbruch des Krieges, ihn bis zur Grenze zu fahren und als dann der Krieg ausbrach fuhren sie weiter über die Slowakei nach Essen.

 

Dieser Zeitungsartikel war Auslöser für die Fahrt: Ukraine Krieg

 

Mikes Kinder (3 und 5 Jahre) sind noch mit seiner Ex Frau in Kiew. Seine Hoffnung, dass sie mit dem Zug nach Lwew kommen und er sie von dort mitnehmen kann, hat sich leider nicht erfüllt.

 

Mike hatte sich am Vortag spontan entschlossen mit dem eigenen Auto mitzufahren und wir sind darüber sehr froh, kann er doch besser als wir die Situation an der Grenze einschätzen und spricht zudem die Sprache.

 

 

Bis zur ukrainischen Grenze sind es 1300km und unser heutiges Ziel ist ein Hotel in der Nähe von Breslau. Die Fahrt geht über Kassel, Leipzig und Dresden bis wir dann in Polen sind. Dort treffen wir an einer Tankstelle 2 Männer aus Offenbach, die medizinische Hilfsgüter nach Lwew fahren und die, da sie noch keine Bleibe für die Nacht haben, mit uns zum Hotel fahren. Wir kommen nach 800km gegen 19.30 Uhr im Hotel Palac Krobielowice an.

Das Hotel ist übrigens das ehemalige Schloß Krieblowitz und bietet folgende Vorteile: Nah an der Autobahn, günstig und viele Zimmer. So können wir schon mal für die Rückfahrt einige Zimmer auf Option reservieren. Beim Abendessen tauschen wir uns über die Pläne aus und planen den Tag morgen. Der Plan sieht so aus:

 

500 km noch bis zur Grenze fahren, ein Auffanglager finden und dort die Sachspenden abgeben, Familien finden, die mit nach Deutschland möchten, möglichst People of Color, dann wieder zurück zum Hotel. Unklar ist noch, ob wir über die Grenze fahren, um dort die Sachen abzugeben, da dort nach Mikes Aussage die Not und der Bedarf viel viel größer ist.

 

Am nächsten Tag geht es deswegen früh los, um 6.30 Uhr starten wir alle. An einer Tankstelle spricht uns ein Deutscher an, er ist Mitarbeiter der Telekom und auf dem Weg an zum Grenzübergang beim Ort Przemysl, dort verteilt die Telekom SIM Karten an Geflüchtete.

 

Dann fährt Mike vor zur Grenze, um dort die Lage zu sondieren und zu schauen, ob es möglich ist, über die Grenze zu fahren und auch wieder zurückzukommen. Dieter und ich sind allerdings skeptisch und würden die Sachen lieber auf der polnischen Seite abgeben. Mit Mike tauschen wir uns immer über WhatsApp aus:

 


Wir haben uns für den Ort Korczowa entschieden. Hier gibt es in großen Hallen ein Auffanglager, indem im Moment sehr viele Menschen untergebracht sind. Wir erreichen den Ort gegen 13.30 Uhr und versuchen uns zunächst in zu orientieren


In den Hallen sind reihenweise Pritschen aneinandergestellt, auf denen die Menschen schlafen können. Da es sich um ein ehemaliges Einkaufszentrum handelt sind einige wenige Toiletten vorhanden. Hilfsgüter werden in verschiedenen Räumen gelagert und es kommen auch regelmäßig neue dazu. In einem großen Raum spielen Kinder Fußball. Es gibt sehr viele freiwillige Helfer, die ansprechbar sind und die Sachen verteilen oder Kontakte herstellen.

 

Wir finden zwar keine People of Color, aber Mike hat schnell Kontakt zu einer Familie mit 3 Kindern, die gerne mitkommen möchten.

 

Gleichzeitig schauen wir, wo wir die Sachen abgeben können, es sind wirklich schon viele Spenden vorhanden. Die Hygieneartikel und Babysachen bringen wir direkt ins Lager in einen großen Raum, aus dem die Sachen dann auch wieder direkt verteilt werden.

 

Schlafsäcke und Decken geben wir an eine andere Hilfsorganisation, die damit am nächsten Tag über die Grenze fahren. Die Kisten mit Lebensmitteln räumen wir in Mikes Auto, der sie über seine Kontakte weiter verteilen will. So haben wir das Gefühl, dass alle Sachspenden gut und sinnvoll verteilt sind.


Inzwischen hat sich auch noch eine Mutter mit zwei älteren Söhnen für die Mitfahrt gefunden.

 

Nur einige Kisten mit den Masken bleiben im Bus, denn die möchte hier so wirklich keiner haben und so hoffen wir einfach, dass es hier kein Corona gibt, denn so nah haben wir in den letzten 2 Jahren mit keinem mehr zusammengesessen. Hinzu kommen die wenigen Habseligkeiten der Familien.

 

Wir fahren gegen 16 Uhr los Richtung Hotel. Mit dabei:

 

Sascha und Tanya mit ihren Kindern Dima, 2 , Artem, 8 und Rita, 13 Jahre, sowie Oksana mit ihren Söhnen Oleh, 16 und Nasar 12 Jahre.

 

Die sprachliche Verständigung gestaltet sich schwierig, keiner spricht Englisch sondern nur ukrainisch oder russisch. Eine Übersetzungsapp leistet aber gute Dienste und als auch noch die Tastatur auf die kyrillischen Buchstaben umgestellt ist, funktioniert es ganz gut. Die meiste Zeit wird geschlafen, einen Tankstopp nutzen wir zum Abendessen bei McDonalds.

 

Gegen 22.00 Uhr kommen wir im Hotel an, hier hat nun jede Familie ihr eigenes Zimmer.


Am nächsten Morgen gibt es im Hotel noch ein gutes Frühstück und so geht es um 9.00 Uhr weiter mit dem Ziel: Jugendkloster Kirchhellen.

Die Stimmung im Bus ist während der Fahrt recht gut, die beiden kleinen Kinder sind superlieb, sie schlafen oder schauen sich fröhlich Bilderbücher an.


Wir nutzen die Zeit, um mit der Übersetzerapp Fragen zu klären. Wir erfahren einiges und lassen uns bei Googles Maps zeigen, wo sie herkommen und zeigen Fotos vom Jugendkloster in Bottrop.

 

Die eine Familie kommt aus der Nähe des großen Atomkraftwerk in Enerhodar. Die andere Familie kommt aus Poltawa.

 

Auch über Schule wird gesprochen und Nasar löst direkt Matheaufgaben mit Worksheet Go auf dem iPad.

Aber auch der Krieg ist Thema. Sascha sitzt neben mir und zeigt mir immer wieder kurze Videos auf dem Handy von Bomben und Raketenangriffen auf Städte in der Ukraine. Auf einem ist zu sehen, wie viele Menschen auf einer Straße stehen und ukrainische Flaggen schwenken. Ich frage ihn mit der Übersetzerapp, was da zu sehen ist:


Mit Mike stehen wir wieder per WhatsApp in Kontakt. Wie sich später herausstellt, ist er noch über die Grenze gefahren und hat dort die Sachen verteilt, sie sind also wirklich noch an der richtigen Stelle angekommen. Dann wissen wir noch nicht so genau, wo er übernachtet hat, jedenfalls bringt er aus Polen noch 2 Frauen mit 2 Kindern mit, davon ist durch einen Zufall auch seine Nachbarin aus Kiew. Diese Geschichte will er uns noch erzählen. Auch diese werden im Jugendkloster unterkommen und da sie Englisch sprechen, werden sie für die anderen gute Übersetzeraufgaben wahrnehmen können.

 

Wir kommen um 18.30 Uhr am Jugendkloster an und die Familien können ihre Zimmer beziehen. Sie werden von einem netten und internationalen Team empfangen und es ist sicherlich ein guter Ort, um in Deutschland anzukommen. Auch Mike kommt an diesem Abend noch mit seinen Mitfahrerinnen gegen 23.00 Uhr am Jugendkloster an. Am nächsten Tag stellt er noch den Kontakt zu einer Frau mit 3 kleinen Kindern her, die noch in Berlin sind und nun auch noch eine längerfristige Unterkunft im Jugendkloster erhalten.

 

 

Wir sind froh und dankbar, dass alles gut und so unkompliziert geklappt hat, dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass wir überall auf offene Ohren und große Hilfsbereitschaft gestoßen sind (Bus, Vertretung, Sach- und Geldspenden) – vielen Dank!

 

Gleichzeitig können wir nur schwer erahnen, was diese Menschen alles erlebt haben, wie es ihnen nun mit der Situation geht und wir blicken fassungslos auf die weitere Entwicklung, die so wenig Anlass für Hoffnung gibt.

 

Es bleibt: Frieden üben

 

Wie könnte es nun weiter gehen ?

 

Die Familien erhalten nun erstmal Unterstützung vom Jugendkloster (Behördengänge, etc.) und sollen Zeit für das Ankommen hier erhalten. Es besteht aktuell auch kein dringender Bedarf an Kleidung oder ähnlichem, die Familien haben zudem auch Geld / bekommen Geld und möchten auch autark bleiben und sich notwendige Dinge selbstbestimmt kaufen.

 

Frau Kückelmann vom Kloster hat mir in einem Telefonat davon berichtet, dass die Ankunft sich in Kirchhellen bereits herumgesprochen hat, die Hilfsbereitschaft groß ist, aber wohl auch etwas in Bahnen gelenkt werden muss (Besucher kommen ohne Anmeldung ins Gebäude, zu dem Fernseher, den es gab, sind jetzt noch 3 gekommen, die auch nicht alle funktionieren,…).

 

Wir haben vereinbart, dass das Kloster auf uns zukommt, wenn konkret etwas benötigt wird oder weitere Unterstützung benötigt wird, z.B. Freizeitaktivitäten und ich habe ihr zugesichert, dass es bei uns im Kollegium sicherlich eine große Bereitschaft dafür gibt.

 

Große Fragen sind:

 

 

 

Schule und Kindergarten:

 

Dies wird in den nächsten Tagen organisiert und geplant.

 

Und es bestehen der Wunsch und der Plan, dass der Sohn von Anna, der in Kiew die 2. Klasse besucht hat, dort online am Unterricht teilnimmt. Der Lehrer hat sich schon aus Kiew gemeldet. Wir versorgen ihn mal mit einem Laptop der Schule, Dieter richtet diesen gerade ein und bringt ihn vorbei.

 

... Fortsetzung folgt!